Vom Urlaub und FOMOS…

Der Sommer geht allmählich zur Neige. Das sieht man nicht nur an den heftigen Gewittern und den fallenden Temperaturen, sondern auch täglich im Büro. Hier ist die Geschirrspülmaschine ein perfekter Indikator für die Belegung des Hauses: Spüler bereits mittags randvoll = alle wieder an Bord. Die Kollegenschaft ist mehr oder weniger braun gebrannt und mehr oder weniger erholt. In der Teeküche kreisen die Gespräche um den eben verbrachten Urlaub.
„Und, wo wart Ihr?“, fragt eine Kollegin die andere.
„Auf Teneriffa. War echt toll, aber auch ziemlich stressig.“
„Bei uns auch. Wir sind endlich mal wieder geflogen. Nach Barcelona. Die Hitze war halt blöd, wir mussten unser Programm ein bisschen abspecken.“
„Mussten wir auch. Wir haben nur drei große Radltouren gemacht, eigentlich hatten wir für jeden Tag eine geplant. Aber die Foto-Safari im Schmetterlingspark haben wir geschafft, und auch das Delfinschwimmen. Am Ende war ich ziemlich geschafft.“
„Stimmt, war irgendwie alles total anstrengend. Aber die Fotos sind toll geworden.“
Die Kolleginnen nehmen ihre Kaffeetassen und kehren zurück an ihre Schreibtische. Ich bleibe nachdenklich zurück. Mit fällt ein Begriff ein, über den ich kürzlich gestolpert bin. FOMO heisst er, und ist die Abkürzung von „fear of missing out“. Er beschreibt Menschen, die Angst haben, in ihrem Leben etwas zu verpassen. Deshalb packen sie ihre Freizeit doppelt und dreifach voll mit Aktivitäten, bevorzugt instagram-fähig. Denn erst das Wahnsinns-Foto vom Sonnenuntergang, vom mega-romantischen Dinner am Strand oder vom Adventure-Trip im Urwald belegt, dass alles tatsächlich so mega war.
Aus Perspektive des Yoga ist man damit überall, nur nicht im Hier und Jetzt. Dabei verpasst man den entscheidenden Moment, in dem sich die Gegenwart abspielt. Patanjali sagt im ersten Lehrsatz des Yogasutra die entscheidenden Worte: „Atha Yoga ansasanam“, „Jetzt beginnt Yoga“. Das erste Wort dieser Kernschrift der Yoga-Weisheit ist das „atha“, = „jetzt“. Yoga ist Präsenz, im Hier und Jetzt-sein, und dabei stellt sich automatisch auch ein Zur-Ruhe-Kommen der Gedanken ein. Aus Angst, etwas zu verpassen die Agenda bis zum Rand vollzupacken, bewirkt das Gegenteil. Bevor man überhaupt den Moment bewusst erleben kann, wird er schon von der nächsten Tätigkeit beiseite gewischt. Unser Sein und der Genuss, einfach mal im Augenblick zu verweilen, werden von andauernder Aktivität überlagert. Warum suchen wir uns nicht einfach an einen schattigen Platz am Strand, schauen auf das Meer, beobachten die Wellen, wie sie vor und zurück branden, und tun sonst einfach mal nichts? Liebe Leserin, lieber Leser: Probier es doch einfach mal aus. Sei im Moment, im atha, ohne Programm, ohne fear of missing out.

Von Entscheidungen

Wir kennen es alle: das bittere Gefühl, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Es hinterlässt einen schalen Geschmack auf der Zunge und den nagenden Verdacht, dass wir es eigentlich schon geahnt haben. Der Chef ist genauso unsympathisch, wie er mir im Vorstellungsgespräch vorkam, die Wohnung noch lauter, als bei der Besichtigung erlebt und die Bitte, die Yogakurse einer Kollegin gelegentlich zu vertreten, wird zur Daueraufgabe. Und das grundsätzlich last minute, als hätte ich sonst nichts zu tun.

Was hat mich bloß dazu bewogen, „ja“ zu sagen? 
Der Yoga in seiner Eigenschaft als Weisheitslehre würde jetzt sagen: Es ist deine Unklarheit, die dich schneller dazu verleitet, „falsche“ Entscheidungen zu treffen. Also Entscheidungen, die zu Zuständen führen, die deinem innersten Wesen widerstreben, die sich nicht stimmig anfühlen und die dir letztlich nicht gut tun.
Doch wie löst man dieses Problem? Wie kann ich lernen, in herausfordernden Situationen klarere Entscheidungen zu treffen?
Eine der wichtigsten Schriften des Yoga gibt uns dazu eine Hilfestellung: Das Yogasutra des Patanjali. Dort heisst die simple Erklärung dafür, was Yoga eigentlich ist, „Yogah cittavrtti-nirodah“, was so viel bedeutet wie: „Yoga ist der Zustand, in dem die Bewegungen des (denkenden) Geistes in eine wache Stille übergehen.“ 
Klingt gut, magst du jetzt sagen, aber was genau ist mit dieser „wachen Stille“ gemeint?
Stell‘ dir mal einen Gebirgssee vor. Das Wasser ist klar wir Glas, du kannst direkt auf den Grund hinunter schauen und jedes kleine Steinchen, jedes Blatt und jeden Fisch, der sich durch das Wasser bewegt, erkennen. Und wenn du auf die Wasseroberfläche schaust, dann kannst du erkennen, wie sich die umliegende Umgebung in dem klaren, ruhigen Wasser spiegelt: Bäume, Berge, der Himmel. Du siehst alles sehr klar und kannst genau unterscheiden: Was du im Wasser siehst, ist tatsächlich da, nur eben unter Wasser. Was sich in der Oberfläche spiegelt, ist nur eine Spiegelung. Sieht zwar täuschend echt aus, aber du weisst natürlich, dass das nicht die „echten“ Bäume, die Berge oder der Himmel sind. Wenn wir nun ein Steinchen auf die Wasseroberfläche werfen, dann entstehen Wellen. Und diese Wellen verzerren das eigentlich klare Spiegelbild der Bäume, der Berge und des Himmels. Werfen wir viele Steine in das Wasser, dann wirbeln wir den Untergrund damit auf und das Wasser wird trüb. Dann können wir nicht mehr bis auf den Grund des Sees sehen. Die Steinchen auf und unter der Wasseroberfläche stehen in Patanjalis Sprache für die „Bewegungen des denkenden Geistes“. Sie trüben unseren Blick und beeinflussen unsere Urteilskraft. 

Eine andere Qualität hat dagegen die „wache Stille“, von der uns Patanjali berichtet und mit der er den Zustand von Yoga definiert. In dieser wachen Stille sind wir klar, wir sehen das, was ist, ohne etwas anderes, was nicht ist, darauf zu projizieren oder den klaren Durchblick zu verlieren. 
In kniffligen Situationen oder wenn schwierige Entscheidungen anstehen, dann kann uns die Klarheit des Yoga in der Form der „wachen Stille“ also helfen – indem wir klar sehen, was der nötige nächste Schritt ist. Und genau das üben wir in meinem Yoga-Unterricht.